Wie unterscheiden sich Asexuelle und Sexuelle in ihrer Sexualität?

Die Frage dieses Artikels mag auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, ist es aber nicht.

Es geht um Erlebnisweisen von Sexualität, Einstellungen zu Sexualität und Erfahrungen mit Sexualität. Zu allen diesen Bereichen können Asexuelle ebenso Angaben machen wie Sexuelle.

Dies hat sich auch in unserem neuen Testverfahren zu elf Dimensionen sexuellen Erlebens deutlich gezeigt. Folgende Ergebnisse kam beim Vergleich von 19 Personen heraus, die sich als komplett asexuell bezeichneten, mit 1001 Personen, die sich als eindeutig sexuell beschrieben:

Keine Unterschiede zwischen Sexuellen und Asexuellen

Sexuelle Zufriedenheit.

Zwischen asexuellen und sexuellen Befragten trat kein signifikanter Unterschied auf. Sexuelle und asexuellen Befragte waren mit ihrem Sexualleben also gleich zufrieden, wobei dies bei asexuellen Befragten meistens gar nicht stattfand, womit sie aber eben genauso zufrieden oder unzufrieden waren wie Sexuelle mit ihrem Sexualleben. Sicher ist demnach: Asexualität hat nichts mit Sexualität Zufriedenheit zu tun.

Instrumentelle Sexualität.

Unter instrumenteller Sexualität wird der Einsatz von Sexualität für andere Zwecke als sexuelle Erregung oder Befriedigung verstanden, wie beispielsweise, um Verlustängste zu mindern, Einsamkeit zu überwinden oder auch andere Vorteile zu erreichen. Man hätte denken können, dass dies Asexuellen vielleicht eher tun, zum Beispiel um Beziehungspartner zufriedenzustellen. Die Daten zeigen aber etwas anderes. Asexuelle setzen Sexualität nicht häufiger instrumentell ein als nicht Asexuelle.

Fluidität.

Unter Fluidität wird die Beweglichkeit der sexuellen Orientierung bezüglich Geschlechtergrenzen verstanden, einschließlich die Veränderung der sexuellen Orientierung. Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Asexuellen und nicht Asexuellen.

Unterschiede zwischen Sexuellen und Asexuellen

Sexsucht.

Es überrascht nicht, dass Asexuelle in dieser Dimension viele niedrige Werte erreichten als Sexuelle. Tatsächlich ist Sexsucht das Gegenteil von Asexualität. Dies lässt sich in den Daten sehr gut erkennen.

Sexuelle Intimität.

Hier geht es um die Assoziation von Sexualität mit Liebe und personaler Nähe. Diese ist bei Asexuellen signifikant niedriger als bei nicht Asexuellen. Auch dies überrascht nicht. Asexuellen möchten keine Sexualität und erleben diese daher auch nicht als Ausdruck von Liebe.

BDSM.

Interresse für Bondage, Dominanz, Sadismus und Masochismus. Die Werte bei Asexuellen sind hier ebenfalls signifikant niedriger als bei Sexuellen. Asexuellen möchten keinen Sex, auch nicht als BDSM.

Sexuelle Experimentierfreude.

Das Streben, möglichst viele sexuelle Praktiken auszuprobieren oder auch sechs an verschiedenen Orten zu haben. Erneut ist der Befund keine Überraschung: Asexuelle haben eine wesentlich geringere sexuelle Experimentierfreude als Sexuelle. Wer keinen Sex möchte, experimentiert eben auch nicht sexuell.

Sex als Selbsterfahrung.

Sex als bewusste Erfahrung eigener körperlicher und seelischer Prozesse. Auch hier erreichen Asexuellen viel geringere Werte als Sexuelle, was erneut nicht erstaunlich ist. Wenn sich Asexuelle für Selbsterfahrung interessieren, gehen sie eben nicht den Weg über Sexualität.

Sexuelle Hemmungen.

Ängste, Schamgefühle, Schuldgefühle oder Blockaden, die mit der eigenen Sexualität verbunden sein können. Das Ergebnis ist interessant: Asexuelle schildern sehr viel stärker sexuelle Hemmungen als Sexuelle. Allerdings gilt dies keineswegs für alle Menschen, die sich als asexuellen bezeichnen. Es gibt aber Menschen, die sich als asexuellen bezeichnen und gleichzeitig eben starke sexuelle Hemmungen schildern. Hier ist zu prüfen, ob es sich wirklich um Asexualität handelt oder ob womöglich Menschen sich nur deshalb fälschlicherweise als asexuellen bezeichnen, weil ihre Sexualität durch vorhandene Ängste, Schamgefühle oder Schuldgefühle gehemmt wird. Dies ist eine wichtige Frage. Sie dient der Emanzipation von Asexualität als einer normalpsychologischen Ausdrucksweise von Erleben von Sexualität, nämlich der Abwesenheit eines sexuellen Verlangens. Hierzu gehört auch, Asexualität von innerpsychischen Problemen und Hemmungen zu trennen, die ansonsten mit Asexualität verwechselt werden könnten.

Sexuelle Probleme.

Erektionsstörungen, Schmerzen bei der Sexualität oder Orgasmusstörungen. Erneut zeigen sich sehr viel höhere Werte bei Asexuellen als bei nicht Asexuellen. Erneut stellt sich die Frage, ob wirklich Asexualität vorliegt, oder ob stattdessen einfach nur sexuelle Funktionsstörungen bestehen, die mit Asexualität verwechselt werden. Der entscheidende Unterschied ist, dass nicht Asexuellen mit sexuellen Funktionsstörungen unter den Funktionsstörungen leiden, weil sie sexuelles Verlangen haben und sich eigentlich Sexualität wünschen. Auch hier ist die Entscheidung wichtig, um Asexualität von sexuellen Problemen zu trennen. Sexuelle Probleme können und sollten behandelt werden, Asexualität nicht.

Interpretation der Ergebnisse

Insgesamt ergibt sich aus dem Vergleich ein aufschlussreiches und plausibles Bild, welches gleichzeitig deutlich macht, dass Abgrenzungen zwischen Asexualität, sexuellen Hemmungen und sexuellen Problemen wichtig sind und im Einzelfall unbedingt begründet getroffen werden sollten.

Denn eine Verwechslung von Asexualität mit sexuellen Hemmung oder sexuellen Problemen schadet sowohl dem Verständnis und der Emanzipation von Asexualität wie auch Menschen, die von behandelbaren sexuellen Hemmungen und Problemen betroffen sind.

Die Befunde bestätigen insofern auch die Ausrichtung unseres Tests „bin ich asexuell?. Denn dieser Test trifft explizit die Unterscheidung zwischen Asexualität, sexuellen Hemmungen und sexuellen Funktionsstörungen.

Selbstverständlich können tatsächlich Asexuelle auch sexuelle Hemmungen oder sexuelle Funktionsstörungen haben. Sexuelle Hemmungen oder sexuelle Funktionsstörungen schließen Asexualität nicht aus. Voraussetzung ist aber, dass tatsächlich kein sexuelles Verlangen und kein Wunsch nach Sexualität besteht. Wer demgegenüber eigentlich gerne Sex hätte, wenn er oder sie nicht gehemmt wäre oder keine sexuellen Funktionsstörungen hätte, der oder die ist nicht asexuell.

Unsere mittlerweile vielfältigen Befragungen zeigen, dass diese Unterscheidung vielen Betroffenen nicht bewusst ist:

Manche Menschen glauben, asexuellen zu sein, obwohl sie gerne Sex haben möchten, aber zu gehemmt sind oder an Funktionsstörungen leiden. Indem sie sich nun als asexuellen bezeichnen, greifen Sie nicht auf die Möglichkeiten einer erfolgreichen Behandlung sexueller Hemmung und sexueller Probleme zurück. Dadurch wird ihre Lebensqualität reduziert.

Andere Menschen glauben, an sexuellen Problemen zu leiden, obwohl sie in Wirklichkeit gar keine sexuellen Probleme haben, sondern einfach nur asexuellen. In diesem Fall geht es darum, die Asexualität emanzipatorisch zu akzeptieren und zu leben.

Manchmal mag es auch nicht sofort klar sein, was genau vorliegt. Beispiel ist die international anerkannte sexuelle Störung „Mangel an sexuellem Verlangen„.

Bei Asexuellen liegt sie sicher nicht vor. Denn die Störung verlangt als Eingangskriterium, dass Menschen unter dem Mangel an sexuellen Verlangen leiden und ein früher vorhandene sexuelles Verlangen schmerzhaft vermissen. Dies ist bei Asexuellen nicht der Fall.

Andererseits kann Asexualität aber auch erst später im Leben auftreten (auch wenn dies nach unseren Befragungen sehr selten ist) und dann womöglich mit der Störung „Mangel an sexuellen Verlangen“ verwechselt werden.

Hier geht es darum, im Einzelfall zu reflektieren, ob die Zuordnung als asexuellen nicht viel plausibler und sinnvoll für die betreffende Person ist.

Spätestens wäre diese Zuordnung als asexuell dann vorzunehmen, wenn das nicht vorhandene sexuelles Verlangen auch im Rahmen von psychotherapeutischen Behandlungsmaßnahmen, zum Beispiel Behandlung einer Depression, aufrechterhalten bleibt. Ziel sollte es dann sein, die Emanzipation als asexuelle Person zu fördern.

About Author:

Guido F. Gebauer, studierte Psychologie an den Universitäten, Trier, Humboldt Universität zu Berlin und Cambridge (Großbritannien). Promotion an der University of Cambridge zu den Zusammenhängen zwischen unbewusstem Lernen und Intelligenz. Im Anschluss rechtspsychologische Ausbildung, Tätigkeit in der forensischen Psychiatrie und 10-jährige Tätigkeit als Gerichtsgutachter. Gründung der psychologischen Kennenlern-Plattform www.Gleichklang.de 2006. Bloggt u.A. für asexuell.info, Hochsensible.eu, vegan.eu.

Bitte schreiben einen Kommentar!