Missverständnisse des Asexualitäts-Test

Der Test „Bin ich asexuell“ wird mittlerweile sehr oft ausgefüllt und von der großen Mehrheit der Teilnehmenden positiv bewertet. Er wird aber auch durch einige Protagonisten kritisiert. In diesem Artikel  möchte ich eingehen auf eine bereits etwas länger zurückliegende Stellungnahme des AktivistA-Vereins. Ich erörtere diese Kritik exemplarisch, weil sie auf einem Missverständnis des Tests wie auch seiner Grundlagen beruht. Hierzu kontrastiere ich jeweils die Aussagen von AktivistA mit meinen Antworten:

Aktivista: Auch Guido Gebauer schreibt: „Asexualität ist noch kein in der Wissenschaft einhellig akzeptierter und übereinstimmend definierter Begriff.“ Danach beginnt er allerdings, ein Bild von Asexualität zu entwerfen, das im Gegensatz zu allen anderen uns bekannten Quellen ausschließt, dass „echte Asexuelle“ sich selbst befriedigen dürfen. Wer also sexuelles Verlangen ohne Ziel spürt, ist dieser Definition zufolge nicht asexuell. Aufgrund dessen und der verwendeten Sprache hat Gebauers Erhebung für Menschen, die Hilfe suchen, wenig praktischen Wert und verunsichert mehr als sie hilft.

Antwort: AktivistA hat den Test und die Texte auf asexuell.info nicht vollständig erfasst. Selbstbefriedigung und Asexualität  sind nach dem Test nämlich miteinander vereinbar. Voraussetzung ist allerdings, dass Selbstbefriedigung nicht in intensive sexuelle Fantasien eingebettet ist und keinen großen Raum im Alltag im Sinne von Hypersexualität einnimmt. Wenn Selbstbefriedigung als ein eher beiläufiger, physiologisch erlebter, nicht mit maßgeblichen sexuellen Fantasien einhergehender Prozess der Spannungsreduktion erlebt wird, ist Selbstbefriedigung nach dem Test und meiner Ansicht nach kein Ausschlusskriterium für Asexualität.

Selbstbefriedigung ist nicht ziellos, sondern kann verschiedenen Zielen dienen. Dient sie sexueller Befriedigung und wird durch sexuelle Fantasien unterstützt, ist sie sicherlich keine asexuelle Handlungsweise.  Was ist sexuelles Verlangen ohne Ziel? Hier bleibt AktivistA die Antwort schuldig. Offenbar – so vermute ich – soll dies ein Verlangen sein, dass zu Selbstbefriedigung führt. Wenn es ein sexuelles Verlangen wäre, wäre es aber weder ziellos (Ziel: Erregung und Befriedigung) noch asexuell.

Handlungen sind übrigens niemals ziellos, sondern sind ausnahmslos in explizite oder implizite Strebungen eingebunden. Die Annahme ziellosen Handelns widerspricht bekannten Grundprinzipien menschlichen Verhaltens.

Aktivista: Grundsätzlich maßt sich die Test-Auswertung eine klare Aussage über die vorhandene oder nicht vorhandene Asexualität der Teilnehmenden an, obwohl eine einheitliche Definition nicht existiert und die Überlappungen schnell in Graubereiche fallen.

Antwort: Der Test maßt sich gar nichts an, sondern verwendet eine eigene Definition, die auch hier auf asexuell.info ausführlich geschildert und begründet wird. Asexualität wird demnach vor dem Hintergrund einer Prototyp-Sichtweise als Abwesenheit von sexuellen Verlangen definiert, wobei sich aber um den Prototyp herum verschiedene Erscheinungsformen manifestieren können, die mit dem Prototyp mehr oder weniger ähnlich sind. Deshalb sind auch Fälle sehr geringen sexuellen Verlangens ebenso in dem Begriff noch eingeschlossen wie Selbstbefriedigung nach der Definition und nach dem Test mit Asexualität vereinbar ist. Diese Definition schließt auch die von AktivistA selbst benannten Grautöne dezidiert ein, ja beruht auf ihnen.

Es gibt auch keine einheitliche Definition von Intelligenz, trotzdem haben Intelligenztests eine herausragende Rolle in der Erforschung und Weiterentwicklung des Intelligenz-Konzepts geführt. Übrigens kann ein Begriff nach allen Regeln der Logik nicht sinnvoll verwandt werden, wenn er gar nicht definierbar ist. Uneinheitliche Definitionen hindern demgegenüber an der Erforschung und Weiterentwicklung nicht. Im Gegenteil: Präzisierungen und auch kontroverse Diskussionen können sehr hilfreich sein. Je wichtiger ein Konzept ist, desto unterschiedlicher sind oft die Ansichten.

Wenn man aber jetzt laut AktivistA keinen Test zur Asexualität entwickeln darf, weil es keine einheitliche Definition gebe, sollte man den Begriff lieber gar nicht verwenden. Denn mit jeder Verwendung – egal ob durch einen Test oder anderweitig – mag man auch wiederum der Definition von jemanden anderen widersprechen.

Aktivista: Es sei angemerkt, dass ein mehr oder weniger unbewusster Widerstand gegen Sex durchaus zu Potenzproblemen, Orgasmusschwierigkeiten, Schmerzen und anderen Problemen führen kann. Die gemessenen dreizehn Prozent „sexuelle Funktionsstörungen“ können also durchaus mit Asexualität überlappen. Wahrscheinlich ekeln sich auch manche Menschen vor Sex mit Menschen, die sie nicht sexuell anziehend finden – und asexuelle Menschen finden eben niemanden anziehend. Eine klare Abgrenzung von Ekel und Asexualität ist also auch nicht möglich.

Antwort: Der Test erfragt, ob Menschen eigentlich gerne Sexualität haben möchten, aber daran gehindert werden, weil sie unter verschiedenen sexuellen Funktionsstörungen, wie Erektionsproblemen, Schmerzen bei der Sexualität, Ekel vor der Sexualität oder auch unter anderen Problemen, wie Schüchternheit, leiden. Erfragt werden sexuelle Funktionsstörungen, für die ein internationaler Konsens im ICD-10 besteht. Die Fragen des Tests zielen genau darauf auf, zu erfassen, ob sexuelle Interessen bestehen und Menschen darunter leiden, dass deren Umsetzung blockiert ist, oder ob keine sexuelle Interessen bestehen.

Nach dem Test können Menschen, die z.B. nicht zur Erektion kommen, selbstverständlich als asexuell bezeichnet werden, wenn sie eigentlich gar keine Sexualität wünschen. Menschen, die aber sexuelle Interessen haben und deren Blockade als seelisch schmerzhaft erleben, sind nach dem Test nicht asexuell und es wäre auch völlig widersinnig und gegenüber dem Erleben dieser Menschen übergriffig, es anders zu sehen.

Der Test sagt also nicht, dass beispielsweise eine nicht gegebenen Erektion Asexualität ausschließe, sondern er stellt lediglich zusätzlich sicher, dass Menschen das schmerzhafte Vermissen von Sexualität aufgrund sexueller Funktionsstörungen nicht fälschlicherweise als asexuell interpretieren. Sachlage ist, dass in dem Test Menschen recht oft vermuteten, asexuell zu sein, die angaben, dass sie gerne Sex haben würden, aber durch Probleme daran gehindert würden. Diese Menschen sollten wissen, dass sie nicht asexuell sind und ihre Probleme behebbar sind.

Aktivista: Hinzu kommt, dass der Test sich explizit an Menschen wendet, die Rat suchen und sich auf dem Gebiet noch nicht auskennen. Trotzdem zwingt er diese unsicheren Menschen, sich zu verorten, da er bei der aktuellen Einschätzung kein „Ich weiß nicht“ zulässt. Wer die zahlenmäßige Auswertung liest, findet denn auch heraus, dass die Fehlerquote vor allem durch Menschen zustande kam, die sich „eher“ als asexuell einschätzten. Menschen, die sich also sowieso nicht sicher waren und sich wahrscheinlich noch nicht als asexuell geoutet hatten. Dass durch diese Faktoren eine hohe „Fehlerquote“ vorliegt, ist zwangsläufig gegeben. AktivistA bedauert, dass dieser Unsicherheitsfaktor in den Pressemeldungen unterschlagen wurde. Aus derlei undifferenzierten Texten lässt sich unglücklicherweise ein Generalverdacht gegenüber als asexuell geouteten Menschen ableiten, dass sie zu einem großen Anteil nur ratlos seien und professionelle Hilfe bräuchten. Wir empfinden dies für unsere Arbeit als nicht besonders förderlich.

Antwort: Der Sinn eines Tests ist es, dass Unsicherheit reduziert wird und/oder eine Reflexion angeregt wird. Sachlage ist, dass die meisten Menschen, die überlegen, asexuell zu sein, sich darüber nicht sicher sind. Viele finden diese Sicherheit – genau dies wird hier in den freien Texten der Teilnehmenden immer wieder rückgemeldet – in den bekannten Foren und Diskussionsgruppen nicht.

Für mich entsteht aus der Stellungnahme der Eindruck einer gewissen Überheblichkeit, womit AktivistA genau das selbst umsetzt, was Sie mir und dem Test vorwirft. Warum sich aus den Testergebnissen ein Generalverdacht gegenüber als asexuell geouteten Menschen ableiten lasse, dass sie zu einem großen Anteil nur ratlos seien und professionelle Hilfe bräuchten, ist mir völlig unklar. Es geht offenbar AktivistA um als asexuell geoutete Menschen. Dem Test geht es um darum, Menschen Hilfestellung zu geben, ihr eigenes Erleben zu validieren, was dankend angenommen wird. Der Test wendet sich an alle, die sich für ihn interessieren, egal ob sie als asexuell geoutet sind oder nicht.

Der Test wendet sich außerdem ganz entgegen den Vermutungen von AktivistA gegen eine Psychopathologisierung von Asexualität, die in Wirklichkeit unabsichtlich diejenigen fördern, die eine Überlappung zwischen Asexualität und international akzeptierten, behandelbaren psychischen Störungen, wie Schmerzen bei der Sexualität, zulassen oder gar propagieren. Wer diese Überlappung fördert, unterstützt eine gesellschaftliche Wahrnehmung, dass Asexualität in Wirklichkeit nur Ausdruck sexueller Probleme sei. Denn dass ein Mensch, der sagt, er/sie würde gerne Sexualität haben, könne aber nicht, weil er Schmerzen habe, ein Problem hat, sollte schließlich jedem klar sein. Die jeweiligen Störungsbilder sind dabei per Definition an solches Leid gebunden und schließen Asexualität eben gerade nicht ein. Dem folgt der Test.

Wenn ein Mensch sagt, er möchte gerne Sex haben, nimmt der Test dies ernst und spekuliert nicht über irgendwelche angeblichen  unbewussten Motive, dass der Mensch in Wirklichkeit doch keinen Sex haben wolle. Das Anliegen des Tests ist es, die Menschen in ihrem konkretem Erleben aufzugreifen und ernstzunehmen, anstatt ihnen Kategorien oder gar Analysen ihrer angeblichen unbewussten Prozesse überzustülpen.

Der Test stellt sicher, dass sexuelle Probleme nicht mit Asexualität verwechselt werden und leistet damit Aufklärungsarbeit, die mittlerweile eine sehr große Anzahl an Menschen erreicht.

AktivistA: Die Erhebung von Guido Gebauer ist weder repräsentativ noch sind die Ergebnisse in ihrer einnehmenden Definitionsmacht für uns nachvollziehbar. Für Menschen, die sich selbstsuchend mit dem Thema Asexualität auseinandersetzen, ist sein Online-Test keine Hilfe. Stattdessen empfehlen wir zur Informationssuche das AVEN-Portal, welches bereits seit 15 Jahren fundierte Kenntnisse über das asexuelle Spektrum vermittelt.

Antwort: Da AktivistA den Test – wie oben wohl hinreichend belegt – falsch verstanden hat, kann der Test auch für AktivistA nicht nachvollziehbar sein.

Niemand hat behauptet, dass der Test für die Allgemeinbevölkerung repräsentativ sei, was er auch nicht zu sein braucht, da die Auswertung nicht quantitativ an einer repräsentativen Norm erfolgt. Allerdings wird der Test bei google unter Begriffen, wie asexuell, sofort in den aller ersten Einträgen gefunden. Der Test erreicht Menschen, die sich im Internet mit Asexualität auseinandersetzen und danach suchen. Er erreicht bei weitem mehr Menschen als sich als Diskutanten oder aktuelle Mitglieder in Asexuellen-Foren finden. Für diese Zielgruppe ist er daher mit hoher Wahrscheinlichkeit repräsentativ, was genügt um aussagekräftige Schlüsse zu ziehen.

Übrigens:

Wenn AktivistA statt dem Test auf das auch von mir geschätzte Aven-Portal verweist, müsste AktivistA nun seinerseits aufzeigen, dass die dortigen Darlegungen, Meinungen und Diskussionen repräsentativ wären. Asexuelle, die in Foren miteinander diskutieren oder sich für die Sichtbarkeit von Asexualität engagieren, sind aus psychologischer Sichtweise jedenfalls keineswegs notwendigerweise oder auch nur wahrscheinlich repräsentativ für asexuelle Menschen insgesamt. Das müssen sie auch gar nicht sein, um wertvolle Arbeit leisten zu können.

Den Test bearbeiten ebensolche Menschen, die sich selbstsuchend mit Asexualität auseinandersetzen und von denen AktivistA spricht. Mit dem heutigen Tag haben 9875 Menschen den Test ausgefüllt. Das sind weitaus mehr Menschen, als in Asexuellen-Foren als Diskutanten oder Mitglieder zu finden sind. Tagesaktuell geben  82,94 % dieser Menschen am Ende des Tests an, dass das Ergebnis nach ihrer Einschätzung passe. 81,83 % bewerten den Test insgesamt positiv. Dies sind exzellente Akzeptanzwerte, wie man sie bei gesellschaftlich relevanten Themen nur selten erreicht.

Bei mir entsteht der Eindruck, dass AktivistA sich hier über diese Menschen hinwegsetzt und selbst eine Definitionsmacht (einschließlich der Macht über das Undefinierbare) beansprucht, die all diejenigen ausschließt, die sich mit dem Thema eigenständig auseinandersetzen möchten. Der Sache der Asexualität tut AktivistA mit dieser faktisch unrichtigen Stellungnahme nach meiner Überzeugung keinen Gefallen, glücklicherweise tut AktivistA in vielen anderen Bereichen dies aber sehr wohl.

About Author:

Guido F. Gebauer, studierte Psychologie an den Universitäten, Trier, Humboldt Universität zu Berlin und Cambridge (Großbritannien). Promotion an der University of Cambridge zu den Zusammenhängen zwischen unbewusstem Lernen und Intelligenz. Im Anschluss rechtspsychologische Ausbildung, Tätigkeit in der forensischen Psychiatrie und 10-jährige Tätigkeit als Gerichtsgutachter. Gründung der psychologischen Kennenlern-Plattform www.Gleichklang.de 2006. Bloggt u.A. für asexuell.info, Hochsensible.eu, vegan.eu.

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