Lebensgeschichtliche Entwicklung von Asexualität

Welche lebensgeschichtliche Entwicklung zeigt Asexualität typischerweise? Gibt es hier überhaupt ein typischerweise oder sind die individuellen Unterschiede zu groß?

Diese Frage möchte ich in diesem Artikel beantworten, indem ich auf Ergebnisse aus unserem Test „Bin ich asexuell?“ zurückgreife.

Durch den Test „Bin ich asexuell?“  und dessen hervorragende Auffindbarkeit bei Google bestehen exzellente Möglichkeiten, große Stichproben von Asexuellen zu befragen und dadurch wichtige Erkenntnis zu gewinnen. Die Ergebnisse werden in diesem Blog regelmäßig berichtet.

Wir verwenden die Ergebnisse außerdem bei Gleichklang, um die Partnervermittlung und Freundschaftsvermittlung für Asexuelle beständig zu verbessern.

Analyse Asexualität im Lebenslauf

In dem Test wird am Ende u.a gefragt, ob eine vorliegende Asexualität seit jeher bestand, ab welchem Alter sie aufgetreten ist, ob es mehrere Phasen von Asexualität gab, die sich mit sexuellen Phasen abwechselten?

Analysiert wurden die Angaben von insgesamt 7045 Personen. Von diesen wurden gemäß dem Testergebnis 2677 als eindeutig asexuell eingeordnet (kein sexuelles Verlangen, kein Interesse an praktizierter Sexualität). 4368 Personen wurden dem Spektrum Asexualität zugeordnet (Gray-Asexualität). Diese Personen berichteten über ein allerdings sehr geringes und praktisch kaum eine Rolle spielendes sexuelles Verlangen und (wenn überhaupt) ein außerordentlich geringes Interesse an praktizierter Sexualität.

Unter den eindeutig Asexuellen waren 2217 Frauen, 373 Männer, elf Intersexuelle und 76 Personen, die sich in anderer Weise dem nicht-binären Geschlechtsspektrum zuordneten.

Unter den Personen im Bereich Spektrum Asexualität waren 3459 Frauen, 735 Männer, 19 Intersexuelle und 95 Personen, die sich dem nicht-binären Geschlechtsspektrum zuordneten.

Der sehr geringe Anteil an Männern im Vergleich zu Frauen wurde von uns bisher bei allen Befragungen beobachtet.

Da die meisten Teilnehmenden durch Google unter dem Begriff Asexualität oder asexuell oder „Test asexuell“ zu uns kommen, ist davon auszugehen, dass dieser Geschlechtsunterschiede real ist.

Es interessieren sich  offenbar Frauen bei weitem mehr für Asexualität und suchen renfalls häufiger nach Asexualität bei Google, weshalb sie auch öfter zu unserem Test kommen. Aller Wahrscheinlichkeit nach liegt dies daran, dass es einfach mehr asexuelle Frauen als Männer gibt.

Der Altersbereich der Stichprobe schwankte bei den eindeutig Asexuellen zwischen 18 und 77 Jahren (Durchschnittsalter: 32,32 Jahre). Beim Spektrum Asexualität lag eine sehr ähnliche Altersverteilung vor zwischen 18 und 76 Jahren (Durchschnittsalter: 31,8 Jahre).

Asexualität: stabil oder phasenweise?

  • Bei den eindeutig Asexuellen berichteten lediglich 6,6 % der Befragten von mehr als einer asexuellen Phase. Alle anderen Asexuellen berichteten davon, dass die Asexualität nach ihrem Auftreten unverändert angehalten habe.

Im Wesentlichen gilt hier der gleiche Trend für alle Geschlechter:

  • Bei den Frauen berichteten 6,8 % von mehr als einer asexuellen Phase, bei den Männern 6,2 %, bei den wenigen Intersexuellen traten keine Fälle von mehr als einer Phase auf. Beim Spektrum nicht-binäre Geschlechtszuordnung berichteten 3,9 % über mehr als eine asexuellen Phase.

Ähnliche Befunde ergaben sich beim Spektrum Asexualität, auch wenn hier mehr als eine Phase von Asexualität etwas häufiger nach den Angaben der Befragten auftrat:

  • Es gaben 11,7 % der Befragten mehr als eine Phase von Asexualität an. Bei den Frauen waren es 12,3 %, bei den Männern 9,7 %, bei den 19 Intersexuellen berichtete niemand über mehr als eine Phase, beim Spektrum nicht-binäre Geschlechtszuordnung waren es 5,3 %.

Insgesamt scheint Asexualität also ein stabiles Muster der Orientierung zur Sexualität zu sein. Tritt sie einmal auf, bleibt sie im Regelfall erhalten. Sehr deutlich wird dies insbesondere bei den eindeutig Asexuellen, bei denen mehr als eine Phase nur von einer sehr kleinen Minderheit von 6,6 % beschrieben wurde. Beim Spektrum Asexualität tritt mehr als eine Phase häufiger auf, ist aber nach wie vor mit 11,7 % recht selten. Die Verläufe sind bei allen Geschlechtern ähnlich.

Wann tritt Asexualität auf?

  • Bei den eindeutig Asexuellen gaben 50,7 % der Befragten an, dass sie immer asexuell gewesen seien. Es habe niemals einen Zeitraum gegeben, in dem sexuelles Verlangen oder Interesse an praktizierter Sexualität vorhanden gewesen seien.
  • Spätestens ab dem 16. Lebensjahr vorhanden gewesen war Asexualität nach den Angaben der Befragten bei 71,7 %, spätestens ab dem 18. Lebensjahr bei 76,8 % der Befragten.
  • Bei lediglich 2,9 % der Befragten trat Asexualität erst nach dem 50. Lebensjahr auf, bei 0,5 % nach dem 60. Lebensjahr und bei 0,1 % nach dem 70. Lebensjahr.

Auch diesbezüglich sah es bei den Geschlechtern tendenziell ziemlich ähnlich aus:

  • Bei den Frauen gaben 50,8 % an, immer asexuell gewesen zu sein, bei den Männern 45,6 %, bei den elf Intersexuellen 63,9 % und beim Spektrum nicht-binäre Geschlechtszuordnung 71,1 %.
  • Spätestens ab dem 16. Lebensjahr vorhanden war Asexualität bei 71,3 % der Frauen, 71,1 % der Männer, 82 % der elf Intersexuellen, sowie 89,5 % der Personen mit nicht-binärer Geschlechtszuordnung.
  • Spätestens ab dem 18. Lebensjahr vorhanden war Asexualität bei 76,3 % der Frauen, 77,3 % der Männer, 100 % der elf Intersexuellen, sowie 93,4 der Personen mit nicht-binärer Geschlechtszuordnung.
  • Sehr selten trat bei allen Geschlechtern Asexualität im höheren Lebensalter, wie ab 50, 60 oder 70 Jahren auf.

Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass Asexualität bei ungefähr der Hälfte der betreffenden seit jeher bestand und unverändert bestehen blieb. Bei den meisten Befragten war Asexualität spätestens ab dem 18. Lebensjahr vorhanden und blieb dann bestehen. Nur bei wenigen entwickelte sich Asexualität im späteren Lebensalter.

Resümee

Die Befunde zeigen, dass Asexualität eine in der Regel stabile Ausrichtung der Orientierung zur Sexualität im Sinne eines nicht vorhandenen sexuellen Verlangens und nicht vorhandener sexuellen Interessen ist (bzw. bezüglich des Spektrums Asexualität eines nur sehr geringen sexuellen Verlangens und nur maximal sehr geringer sexueller Interessen).

Insbesondere bei den eindeutig Asexuellen, die über ein komplett fehlendes sexuelles Verlangen und fehlende sexuelle Interessen berichteten, ist mehr als eine Phase von Asexualität offenbar sehr selten. Aber auch im Spektrum Asexualität kommt dies mit nur 11,7 % nur selten vor. Typischerweise ist Asexualität stabil.

Zudem zeigen die Befunde, dass Asexualität in der Regel früh beginnt. Eine knape Mehrheit aller befragten Asexuellen gab an, immer asexuell gewesen zu sein. Entsprechend gab eine knappe Hälfte der Befragten an, dass es früher in ihrem Leben sexuelles Verlangen und/oder sexuelle Interessen gegeben habe. Bei denen allermeisten verschwanden diese aber bereits spätestens mit dem 18. Lebensjahr, im Regelfall vorher.

Die Befunde weisen vor diesem Hintergrund darauf hin, dass Asexualität ein im Regelfall stabiles und früh beginnendes Merkmal der sexuellen Entwicklung ist. Dies gilt generalisiert über alle Geschlechter und letztlich ebenso für Asexualität im starken Sinne (fehlendes sexuelles Verlangen und fehlende sexuelle Interessen) wie auch für das Spektrum Asexualität (Gray-Asexualität).

About Author:

Guido F. Gebauer, studierte Psychologie an den Universitäten, Trier, Humboldt Universität zu Berlin und Cambridge (Großbritannien). Promotion an der University of Cambridge zu den Zusammenhängen zwischen unbewusstem Lernen und Intelligenz. Im Anschluss rechtspsychologische Ausbildung, Tätigkeit in der forensischen Psychiatrie und 10-jährige Tätigkeit als Gerichtsgutachter. Gründung der psychologischen Kennenlern-Plattform www.Gleichklang.de 2006. Bloggt u.A. für asexuell.info, Hochsensible.eu, vegan.eu.

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