Asexualität: Besonderheit – keine Störung
Das Vorhandensein von Asexualität sagt nichts darüber aus, ob ein Mensch an einer seelisch-psychischen Krankheit leidet oder nicht. Die Abwesenheit von sexuellem Verlangen kann Ausdruck einer psychischen Störung sind, wenn Sexualität, z.B. im Rahmen einer Depression, verloren geht (siehe auch Definition). Hieraus folgt aber keineswegs, dass „asexuell“ als überdauernde Abwesenheit von sexuellem Verlangen (oder des Wunsches nach Sexualität mit einem anderen Menschen) als Krankheit zu bewerten wäre. Vielmehr kann Asexualität als eine Besonderheit der Sexualität bewertet werden, die in ihrer (weitgehenden) Abwesenheit besteht. Dies als krank zu betrachten, ist Ausdruck von Stigmatisierung.
Asexualität ist also nicht als eine psychische Krankheit zu verstehen. Bei Zugrundelegung des Krankheitsbegriffs der WHO ist von einer seelischen Erkrankung nur dann auszugehen, wenn Besonderheiten des Erlebens oder Verhaltens zu subjektivem Leid oder zu Schädigungen anderer Menschen führen. Asexuelle betonen aber gerade, dass sie keine Sexualität wünschen. Sie leiden nach ihren eigenen Schilderungen nicht unter der Abwesenheit von Sexualität, sondern höchstens unter negativen Reaktionen der Gesellschaft.
Abgrenzung von Störung mit Mangel an sexuellem Verlangen
Asexualität ist von der im ICD-10 enthaltenden psychischen Störungskategorie des Mangels an sexuellem Verlangen zu unterscheiden. Bei dieser Störung leiden Betroffene unter einem Mangel und wünschen sich eine erfüllte Sexualität. Störungen des sexuellen Verlangens sind erworben, was der Grund dafür ist, dass die Betreffenden unter dem Verlust des sexuellen Verlangens – unter Rückgriff auf Erinnerungen an vorherige Sexualität – leiden. Abwesenheit von sexuellem Verlangen kann dabei auch im Rahmen von körperlichen Erkrankungen oder Depressionen auftreten.
Teilweise wird im Internet von Asexuellen gefordert, die Kategorie der Abwesenheit von sexuellem Verlangen aus dem ICD-10 zu streichen. Diese können zu einer Psychopathologisierung von Asexualität führe. Diese Forderung ist aus einer emanzipatorischen Sichtweise durchaus nachvollziehbar.
Dennoch wäre eine Entfernung der Abwesenheit von sexuellem Verlangen aus dem ICD-10 nicht sinnvoll. Sachlage ist, dass es bei Menschen aufgrund von verschiedenen körperlichen und Umwelt bedingten Ereignissen zu einem durch sie nicht gewünschten Verlust sexuellen Verlangens kommen kann, unter dem sie leiden. Ebenfalls ist gesichert, dass ein entsprechender Verlust sexuellen Verlangens oftmals im Rahmen von Behandlungsmaßnahmen überwinden werden kann. Die Betreffenden berichten von einer gesteigerten Lebensqualität. Die Streichung aus dem ICD-10 würde das seelische Leid der Betreffenden nicht anerkennen und ihnen Behandlungsmöglichkeiten verwehren. In Wirklichkeit sind Personen nicht asexuell, die z. B. infolge von Depressionen, einen anhaltenden Mangel an sexuellem Verlangen entwickelten, unter dem sie leiden.
Allerdings besteht in der Tat die Gefahr, dass die ICD-10-Kategorie des Mangels an sexuellen Verlangen missverstanden und unberechtigt auf Asexuelle übertragen wird. So ist gut vorstellbar, dass eine tatsächlich asexuelle Person aufgrund gesellschaftlicher Stigmatisierung unter ihrer Asexualität leidet und diese sodann als Ausdruck einer psychischen Störung fehlinterpretiert. Aufklärungsarbeit ist erforderlich, um solchen Fehlzuschreibungen entgegenzuwirken.
Asexuelle können im Übrigen ebenso wie Nicht-Asexuelle (Sexuelle) von psychischen Störungen betroffen sein. Ihre Asexualität sollte in diesem Kontext berücksichtigt werden, wenn die psychische Störung Bezüge zu Schwierigkeiten bei der Verarbeitung der eigenen Asexualität aufweisen sollte. Dies kann, muss aber keineswegs der Fall sein.
Vorläufige Umfragergebnisse
Gemäß unserer vorläufigen Umfrageergebnisse geben insgesamt 64 % der befragten Asexuellen an, seelisch gesund oder stabil zu sein, während entsprechend 36 % sich als nicht seelisch gesund und stabil bewerten. Ein signifikanter Unterschied zu den Befragten der nicht-asexuellen Vergleichsgruppe ist dabei bisher nicht erkennbar. Tendenziell schildern sich gemäß der vorläufigen Befunde zwar mehr Asexuelle als seelisch gesundheitlich beeinträchtigt als Nicht-Asexuelle, dieser Unterschied ist aber statistisch nicht signifikant. Festzuhalten bleibt, dass Asexuelle ebenso wie Nicht-Asexuelle (Sexuelle) seelisch gesund oder seelisch nicht gesund sein können. Asexuell zu sein, sagt also nichts darüber aus, ob jemand seelisch gesund oder nicht ist.
Selbst wenn Asexuelle in erhöhtem Ausmaß anfällig für psychische Störungen wären als Nicht-Asexuelle, ergäbe sich hieraus nicht die Legitimation zur Psychopathologisierung von Asexualität. Vielmehr würde ein solcher Befund es erforderlich machen, nach Möglichkeiten einer Reduktion seelischer Beeinträchtigungen bei asexuellen Menschen zu suchen. Hierfür könnte der Abbau gesellschaftlicher Vorbehalte wesentlich sein. So ist beispielsweise bei Bisexuellen bekannt, dass diese deutliche anfälliger für seelische Störungen sind. Dies ist nach Studien rückführbar auf gesellschaftliche Diskriminierungen, Ausgrenzung und durch das Umfeld erlittene Mikroaggressionen. Entsprechend folgt aus dem Befund das gesellschaftliche Erfordernis, die Emanzipation von Bisexualität weiter zu fördern. Analog würde dies für Asexuelle ebenfalls gelten, sollte sich zeigen, dass Asexualität im Durchschnitt mit einer erhöhten Anfälligkeit für psychische Störungen verbunden sein sollte, wofür gegenwärtig aber Daten fehlen.
Resümee
Derzeit gibt es keine belastbaren Daten zu der Frage, ob Asexuelle häufiger psychisch beeinträchtigt sind als Nicht-Asexuelle. Egal, was solche Daten zeigen würden, sollte Asexualität aber auf keinen Fall als psychische Störung betrachtet werden. Asexuell zu sein, bedeutet vielmehr einfach nur, eine Besonderheit im Bereich der Sexualität aufzuweisen.
Danke!