Der Test „Bin ich asexuell?“ ist bereits ein Selbstläufer geworden. So kommen täglich neue Daten zum Erleben und Verhalten von Menschen herein, die sich als asexuell erleben oder sich mit Asexualität beschäftigen. Vollständig haben die letzte Version des Tests, einschließlich verschiedener Zusatzfragen zu sexuellem Erleben und Verhalten, aktuell 10411 Personen beantwortet. Unter ihnen sind 2164 Männer, 7964 Frauen, 45 Intersexuelle und 262 Personen, die sich nicht durch die binäre Kategorie männlich oder weiblich angemessen beschrieben fühlen. 6 Personen machten keine Angabe zum Geschlecht. Das Alter schwankt zwischen 16 und 88, wobei das Durchschnittsalter bei 29 liegt.
Wie aussagekräftig ist der Test?
Der Test kann einen begründeten Anspruch erheben, für Asexuelle und die, die sich mit Asexualität beschäftigen, eine gute Aussagekraft aufzuweisen. Denn die überwältigende Mehrheit der Teilnehmenden kommt zum Test, indem sie bei google Suchworte, wie asexuell, Asexualität, Asexuelle oder Test asexuell etc. eingeben. Wer sich also mit Asexualität beschäftigt und im Internet aktiv ist, hat sehr gute Aussichten, auf unseren Test zu stoßen. Damit ergibt sich eine sehr breite Datenbasis, jedenfalls eine weitaus breitere Datenbasis, als wenn ausschließlich „geoutete Asexuelle“ berücksichtigt werden würden. Nicht-repräsentativ ist der Test sicherlich für Sexuelle, da ein besonderes Interesse für Asexualität bei Sexuellen selten sein dürfte, so dass es also eine besondere Gruppe von Sexuellen ist, die an dem Test teilnimmt.
Selbstsicht der Teilnehmenden
Dieser Artikel beschäftigt sich mit Unterschieden im sexuellen Erleben und Verhalten von Asexuellen, Gray-Asexuellen und Sexuellen. Die Betreffenden haben dabei selbst am Ende des Tests angegeben, ob sie sich am besten durch die Begriffe asexuell, gray-asexuell oder sexuell beschrieben fühlen. 2436 Personen gaben an, sich am besten durch asexuell beschrieben zu fühlen, 6368 wählten gray-asexuell und 1607 wählten sexuell.
Dass Sexuelle an diesem Test weitaus seltener teilnehmen, als in Anbetracht ihres Bevölkerungsanteils zu erwarten wäre, ist übrigens selbstverständlich. Zum Test kommt am ehesten, wer sich mit Asexualität beschäftigt und dies tun Asexuelle oder Gray-Asexuelle naturgemäß häufiger als Sexuelle.
Es sie noch einmal betont, dass dieser Artikel die Selbstsicht der Teilnehmenden schildert. Alle Angaben, auch die Einschätzung der eigenen Asexualität, stammen allein von den Teilnehmenden selbst. Demnächst werde ich die gleichen Zusammenhänge zu sexuellem Verlangen, Selbstbefriedigung und Fetischismus noch einmal beschreiben, dann aber nicht die Selbsteinschätzung der eigenen Asexualität, sondern das Testergebnis zugrundelegen. Allerdings kann ich bereits jetzt verraten, dass die Ergebnisse nahezu identisch sind.
Das sind die Ergebnisse:
Aktuell Sex mit einem Menschen?
- 77 % der Asexuellen, 44 % der Gray-Asexuellen und 13 % der Sexuellen gaben an, gegenwärtig keinen Sex mit einem anderen Menschen zu haben, weil sie dies nicht wollen. Alle Unterschiede sind statistisch signifikant (95 % Niveau), lassen sich also nicht durch Zufall erklären. Demnach haben Asexuelle aus sexuellem Desinteresse heraus sehr viel seltener Sex als Gray-Asexuelle, die wiederum sehr viel seltener Sex haben als Sexuelle.
Was aber ist mit den 33 % der Asexuellen, die nicht angaben, keinen Sex zu haben, weil sie dies nicht wollen?
- Nur 1 % gab an, sie hätten Sex, weil sie Sex haben wollen und dies genießen. 2 % gaben an, dass sie eigentlich gerne Sex haben möchten, derzeit aber über keinen Sexualpartner verfügen. 14 % ließen sich auf Sex dem Partner zuliebe ein, 6 % fühlten sich zum Sex gedrängt. Ein eigenes Interesse an sexuellen Aktivitäten gaben demnach also nur 3 % der Asexuellen an, eine sehr kleine Minderheit.
Ähnlich, aber weniger eindeutig, sieht es bei den Gray-Asexuellen aus:
- 4 % gaben an, Sex zu haben, weil sie Sex genießen. 16 % gaben an, gerne Sex haben zu wollen, aber derzeit keinen Sexualpartner zu haben. Demnach gaben also 20 % der Gray-Asexuellen ein dezidiertes sexuelles Interesse an Sex mit einem anderen Menschen an. 26 % hatten zudem dem Partner zuliebe Sex und 9 % fühlten sich zum Sex gedrängt.
Komplett anders ist das Bild bei den Sexuellen, die sich an der Umfrage beteiligten:
- 28 % gaben an, Sex zu haben und diesen zu genießen. 41 % wünschten sich Sex, hatten aber derzeit keinen Sexualpartner. 69 % der Sexuellen gaben insofern ein dezidiertes Interesse an Sex mit einem anderen Menschen an. 14 % gaben an, Sex zuliebe eines anderen Menschen zu haben und 4 % fühlten sich zum Sex gedrängt.
Auf den Punkt gebracht:
- Gerne Sex haben möchten 3 % der Befragten, die sich als asexuell sehen, 20 % der Befragten, die sich als gray-asexuell sehen, und 69 % der Befragten, die sich als sexuell sehen.
Alle diese Unterschiede zwischen Asexuellen, Gray-Asexuellen und Sexuellen sind jeweils signifikant. Demnach kennzeichnen sich Asexuelle im Gegensatz zu Gray-Asexuellen und auch Sexuellen also dadurch, dass die überwältigende Mehrheit aktuell keinen Sex hat, weil sie diesen nicht möchte. Zudem scheint nur eine verschwindend kleine Minderheit der Asexuellen überhaupt Interesse an Sex mit einem Menschen zu haben, während der Anteil der Gray-Asexuellen mit solchem Interesse immerhin bei 20 % liegt. Gray-Asexuelle haben auch häufiger Sex mit einem Menschen als Asexuelle, diesem Menschen zuliebe oder weil sie sich gedrängt fühlen. Sexuelle haben demgegenüber vor allem aus eigenen Interesse Sex.
Insgesamt werden sehr starke Unterschiede zwischen Asexuellen und Sexuellen ersichtlich, wobei Gray-Asexuelle im Zwischenbereich liegen.
Stärke des sexuellen Verlangens
Auch hier zeigen sich starke Unterschiede zwischen Asexuellen, Gray-Asexuellen und Sexuellen, die sämtlich signifikant ausfielen. Erneut liegen Gray-Asexuelle im Zwischenbereich zwischen Asexuellen und Sexuelle:.
- 41 % der Asexuellen, aber nur 6 % der Gray-Asexuellen und 2 % der Sexuellen gaben an, dass sie überhaupt kein sexuelles Verlangen verfügen.
- 47 % der Asexuellen und 47 der Gray-Asexuellen, aber nur 10 % der Sexuellen, berichteten über ein sehr niedriges sexuelles Verlangen, welches praktisch bedeutungslos sei.
- Ein geringes sexuelles Verlangen gaben 7 % der Asexuellen und 24 % der Gray-Asexuellen, sowie 11 % der Sexuellen an.
- Für „eher gering“ waren die entsprechenden Prozente 2 % für Asexuelle, 13 % für Gray-Asexuelle und 14 % für Sexuelle.
- 31 % der Sexuellen berichteten demgegenüber über ein mittelgradiges sexuelles Verlangen, aber nur 7 % der Gray-Asexuellen und 1 % der Asexuellen.
- Ein erhöhtes sexuelles Verlangen gaben lediglich 1 % der Asexuellen und 2 % der Gray-Asexuellen, aber 33 % der Sexuellen an.
Ein komplett abwesendes sexuelles Verlangen ist demnach sehr viel häufiger bei Asexuellen als bei Gray-Asexuellen oder Sexuellen vorliegend. Ein sehr niedriges sexuelles Verlangen wird demgegenüber gleich häufig von Asexuellen und Gray-Asexuellen, sehr viel seltener aber von Sexuellen beschrieben, bei denen mittelgradiges und erhöhtes sexuelles Verlangen dominieren.
Nur eine verschwindend kleine Minderheit der Asexuellen (zusammen 2 %) berichtet über ein mittelgradiges oder erhöhtes sexuelles Verlangen. Erneut liegen Gray-Asexuelle im Zwischenbereich zwischen asexuell und sexuell. Klar ersichtlich ist, dass gemindertes oder abwesendes sexuelles Verlangen sehr stark mit der Selbsteinschätzung als asexuell korreliert.
Häufigkeit und Bedeutsamkeit der Selbstbefriedigung
Sehr starke und ausnahmslos signifikante Unterschiede wurden in der Selbstbefriedigung zwischen Asexuellen, Gray-Asexuellen und Sexuellen erkennbar:
- 40 % der Asexuellen, aber nur 21 % der Gray-Asexuellen und 16 % der Sexuellen erklärten, dass sie sich nicht selbst befriedigten.
- 45 % der Asexuellen gaben an sich höchstens alle paar Wochen selbst zu befriedigen, wobei dieser Prozentsatz bei den Gray-Asexuellen bei 42 % und bei den Sexuellen bei 25 % lag.
- Über eine Frequenz der Selbstbefriedigung von einmal in der Woche berichteten 10 % der Asexuellen und jeweils 17 % der Gray-Asexuellen und Sexuellen.
- Mehrfach pro Woche befriedigten sich 9 % der Asexuellen, 13 % der Gray-Asexuellen und 24 % der Sexuellen selbst.
- Einmal pro Tag 4 % der Asexuellen, 6 % der Gray-Asexuellen und 11 % der Sexuellen.
- Mehrfach pro Tag 1 % der Asexuellen, 2 % der Gray-Asexuellen und 7 % der Sexuellen.
Ebenso deutlich fielen die Unterschiede in der subjektiven Bedeutsamkeit der Selbstbefriedigung zwischen Asexuellen, Gray-Asexuellen und Sexuellen aus:
- Als völlig unbedeutend oder rein körperliche Reaktion ohne alle sexuellen Fantasien schilderten 66 % der Asexuellen, aber nur 40 % der Gray-Asexuellen und 21 % der Sexuellen die Selbstbefriedigung.
- Als eher eine körperliche Reaktion, die aber gelegentlich mit sexuellen Fantasien einhergehe, schilderten 23 % der Asexuellen, 37 % der Gray-Asexuellen und 26 % der Sexuellen die Selbstbefriedigung.
- Demgegenüber gaben 37 % der Sexuellen, 18 % der Gray-Asexuellen, aber nur 8 % der Asexuellen an, dass Selbstbefriedigung und sexuellen Fantasien für sie zusammengehörten.
- Von sehr intensiven sexuellen Fantasien bei der Selbstbefriedigung berichteten 16 % der Sexuellen, 6 % der Gray-Asexuellen und 3 % der Asexuellen.
- Auffällig ist, dass Asexuelle der Selbstbefriedigung ein viel geringere sexuellen Bedeutsamkeit zuweisen, als Sexuelle, wobei Gray-Asexuelle erneut im Zwischenbereich zwischen Asexualität und Gray-Asexualität liegen.
Übrigens dürften die Unterschiede zwischen den Gruppen durch diese Analyse aus folgendem Grund sogar unterschätzt werden:
Die Häufigkeit der Selbstbefriedigung nimmt mit vorhandenen partnerschaftlichen Beziehungen ab. Sexuelle verfügen aber in unserer Umfrage häufiger über partnerschaftliche Beziehungen (44 %) als Gray-Asexuelle (36 % ) und diese wiederum häufiger als Asexuelle (24 %). Obwohl aber Partnerlosigkeit statistisch typischerweise die Frequenz von Selbstbefriedigung erhöht, weisen Asexuelle in dieser Befragung die bei weitem geringste Häufigkeit von Selbstbefriedigung auf.
Fetischismus: Sexuelles Interesse an Gegenständen
Sexuelles Interesse an Gegenständen wurde im Rahmen der Testbearbeitung nur selten berichtet, wobei hierüber 2 % der Asexuellen, 4 % der Gray-Asexuellen und 6 % der Sexuellen berichteten. Auch diese Unterschiede waren signifikant. Asexuelle kennzeichnen sich demnach durch ein geringeres sexuelles Interesse an Gegenständen als Gray-Asexuelle und Sexuelle. Auch hier liegen Gray-Asexuelle zudem wiederum im Zwischenbereich.
Was bedeuten die Ergebnisse
In Internetforum und Stellungnahmen wird teilweise sehr pointiert vorgebracht, dass Selbstbefriedigung, sexuelles Verlangen oder auch Fetischismus für die Frage der Definition der Asexualität unwichtig seien. Ausschließlich ob jemand mit einem Menschen Sex haben wolle, sei relevant, wobei aber auch hier darüber hinausgehend sowohl seltenes oder schwankendes sexuelles Interesse an Menschen wie auch Demisexualität (Interesse an Sex mit vertrauten Personen) mit Asexualität als vereinbar betrachtet werden.
Nach den hier vorgelegten Angaben tausender Menschen, die sich als asexuell sehen, entsprechen diese Standpunkte aber nicht der Lebenswirklichkeit vieler asexueller Menschen. Stärke des sexuellen Verlangens und Selbstbefriedigung sind tatsächlich nach den hier erfolgten Angaben der Umfrage-Teilnehmenden alles andere als unabhängig von Asexualität. Im Gegenteil, zeigen sich enorme Unterschiede in der Stärke des sexuellen Verlangens, der Häufigkeit der Selbstbefriedigung und der Bedeutsamkeit der Selbstbefriedigung zwischen nach eigener Einschätzung asexuellen und sexuellen Menschen, wobei Gray-Asexuelle bei allen Analysen in einem Zwischenbereich liegen.
Zudem ist sexuelles Interesse an Gegenständen dezidiert negativ mit Asexualität korreliert:
Je eher Menschen sich als asexuell erleben, desto seltener haben sie sexuelles Interesse an Gegenständen.
Wird ein psychologisch fundiertes Verständnis von Sexualität zugrunde gelegt und der Begriff der Asexualität in seiner Wortbedeutung verwendet, verwundern diese Befunde nicht, sondern ergeben im Gegenteil ein plausibles Bild:
Sexuelles Erleben und Verhalten bezieht sich nicht ausschließlich auf auf andere Menschen als Sexualobjekte bezogene Erlebens- oder Verhaltensweisen. Vielmehr gehört Selbstbefriedigung ebenso zur Sexualität wie auf nicht-menschliche Sexualobjekte bezogene Erlebens- oder Verhaltensweisen. Zur Sexualität gehört zudem ebenso die Verhaltensebene wie die Fantasieebene. In sexuelle Fantasien eingebettete Selbstbefriedigung, der Wunsch nach sexuellen Handlungen an Gegenständen, die sexuelle Erregung durch Pornografie, die Wahrnehmung eines eigenen sexuellen Verlangens wie auch der Wunsch nach Sex mit Menschen markieren demnach allesamt den Gegenpol zum Begriff der Asexualität. Asexuell ist also, wer diese und weitere sexuelle Strebungen nicht bei sich wahrnimmt.
Menschliche Erlebens- und Verhaltensweisen sind allerdings nie nur schwarz oder weiß. Es ist vielmehr ein geradezu universelles psychologisches Grundgesetz, dass es beim menschlichen Verhalten und Erleben Zwischentöne und -stufen gibt. Genau hier kommen Bezeichnungen, wie Spektrum Asexualität oder gray-asexuell zum Tragen, die diese Unschärfe oder Variabilität menschlichen Verhaltens und Erlebens aufgreifen.
Die hier vorgestellten Erlebensweisen tausender Menschen stützen eine von einem Prototyp ausgehende Definition von Asexualität:
Der Prototyp des Asexuellen hat kein Interesse am Sex mit Menschen oder anderen Sexualobjekten, erlebt kein sexuelles Verlangen, befriedigt sich nicht selbst oder erlebt Selbstbefriedigung als eine rein körperliche Reaktion ohne sexuelle Fantasien.
Der Prototyp des Asexuellen hat also schlichtweg kein Interesse an Sexualität in allen ihren möglichen Varianten.
Der Prototyp des Sexuellen hat demgegenüber ein ausgeprägtes sexuelles Verlangen, ein lebendiges sexuelles Fantasieleben und den Wunsch, Sexualität auch auf der Handlungsebene umzusetzen.
Der Spektrum-Bereich Asexualität entsteht durch den quantitativen Charakter menschlichen Verhaltens. Eben weil es auch im sexuellen Erleben nicht nur schwarz und weiß, sondern viele Zwischentöne gibt, ist es nicht bei jedem Einzelfall sofort klar oder klärbar, ob dieser als asexuell oder sexuell zu bezeichnen ist.
Je mehr sich der Einzelfall dabei dem Prototyp asexuell annähert und sich dadurch automatisch vom Prototyp sexuell entfernt, desto eher mag der Begriff gray-asexuell verwandt werden, wenn der Prototyp asexuell nicht erreicht scheint.
Notwendigerweise werden hier immer Zuordnungsschwierigkeiten und auch Meinungsverschiedenheiten verbleiben. Aus den hier vorgelegten Daten scheint es mir aber gut begründbar, dass auch für den Begriff gray-asexuell nachvollziehbare Maßstäbe zugrunde gelegt werden können. So könnte gray-asexuell allgemein dann verwandt werden, wenn zwar eine klare Nähe zum Prototyp Asexualität vorliegt, aber doch begründete Zweifel an der Zuordnung aufgrund ebenfalls erkennbarer sexueller Strebungen bestehen. Spezifisch sollten solche erkennbaren sexuellen Strebungen aber so geringgradig sein und als subjektiv so irrelevant erlebt werden, dass eine Zuordnung zum Bereich sexuell als fragwürdiger erscheint als zum Spektrum Asexualität.
Übrigens setzt der Test „Bin ich asexuell?“ diese Überlegungen zu einem guten Teil bereits um. Ich werde die Testauswertung aber demnächst noch einmal unter Berücksichtigung der hier dargestellten Befunde optimieren und präzisieren.